Freitag, 30. November 2012

Lärm-Alarm im Klassenzimmer

In vier von fünf Münchner Schulen ist es zu laut. Die Folge: Die Kinder können sich viel weniger merken. Die Stadt kennt das Problem schon länger, aber ie akustische Sanierung der Klassenzimmer
ist teuer.

VON ANGELO RYCHEL
Dass es in Klassenzimmern oft laut zugeht, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass dies nicht nur an schwätzenden Schülern, sondern auch an der Akustik des Raumes liegt. Oft potenziert die den Lärm. Studien zeigen, dass die Leistung der Schüler in Räumen mit schlechtem Schallschutz um etwa ein Viertel niedriger liegt als in akustisch optimierten Räumen. Bei Lehrern führt der Lärm zu Erschöpfungssyndromen oder erhöhter Herzfrequenz.


Schon im Jahr 2010 hatte der Stadtrat festgestellt, dass an vielen Münchner Schulen Bedarf an akustischer Optimierung besteht. Schließlich stammt die Mehrzahl der Schulen aus den Jahren 1900 bis 1975, als Schallschutz für viele noch ein Fremdwort war. Der Stadtrat konstatierte damals, dass knapp 80 Prozent aller Grund- und weiterführenden Schulen sowie die meisten Sporthallen Schallschutzsanierungen brauchen. Aber nicht nur die: Auch jede zweite Kindertagesstätte in München ist zu laut.

Damit verbunden sind enorme Kosten. Der Stadrat kalkulierte für eine „mittelgroße Schule“ mit etwa 200 000 Euro Kosten und stellte eine jährliche Pauschale von einer Million Euro bereit. Insgesamt sei mit Kosten in zweistelliger Millionenhöhe zu rechnen. Nach Angaben des Bildungsreferats führte die Stadt in den Jahren 2011 und 2012 für 2,6 Millionen Euro Schallschutzmaßnahmen in etwa 50 Einrichtungen durch. Hinzu kämen Maßnahmen, die im Rahmen von Generalinstandsetzungen an Schulen generell durchgeführt würden. Es wird also trotz aller Bemühungen noch Jahre dauern, bis in jedem Klassenzimmer akustisch wünschenswerte Bedingungen herrschen.

Maria Auer, die eine dritte Klasse der Schule an der Schwabinger Haimhauserstraße unterrichtet, kennt beide Erfahrungen. „Heute habe ich im angestammten Klassenzimmer eine Gruppenarbeit gemacht. Ich habe Zweige mitgebracht, die die Kinder bestimmen sollten. Das war ein Höllenlärm“, berichtet sie. Ganz anders sei das, wenn sie ihren Unterricht im modernen Klassenzimmer im dritten Stock abhalte. „Da sind die Kinder ruhig und konzentriert. Es gibt kaum
Lärm, der sie ablenkt.“


Das moderne Klassenzimmer ist Teil des LMU-Projekts „UNI-Klassen“. Lehramtsstudenten können hier neue Unterrichtsformen testen und werden zur Analyse gefilmt. Zur akustischen Optimierung wurden eine schallabsorbierende Akustik-Decke sowie ergänzende Platten an den Wänden installiert. Hinzu kommt ein Teppichboden, der Störgeräusche wie fallende Bleistifte oder quietschende Schuhsohlen minimiert. Auslöser für das geweckte Interesse an Lärm in Schulen sind auch die neueren Unterrichtsformen wie die Gruppenarbeit.

„Alte Schulräume sind für den klassischen Frontalunterricht konzipiert“, erläutert Akustikspezialist Holger Brokman von der Firma Ecophon. Bei Gruppenarbeiten entwickle sich das, was man umgangssprachlich als „Kneipeneffekt“ und wissenschaftlich als „Lombard-Effekt“ bezeichnet. Jede Gruppe empfindet die Diskussion der Nachbarn als Störgeräusch. Es entwickelt sich eine Lärmspirale nach oben, da jeder unbewusst versucht, den anderen zu übertönen. Die Folge: Ein
höherer Geräuschpegel und reduzierte Sprachverständlichkeit. Dies trifft gerade Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen. In akustisch sanierten Räumen ist der Effekt umgekehrt. Da der Schall nicht in den Raum zurückgeworfen wird, sinkt der Lärmpegel im Vergleich zu akustisch schlechten Bedingungen um 13 Dezibel. „Subjektiv empfindet man das als halb so laut“, sagt
Brokman.

An der Haimhauserstraße belegen wechselnde Klassen das moderne Zimmer. Maria Auer freut sich heute schon auf die Zeit, wenn solche Lehrbedingungen für sie nicht mehr die Ausnahme, sondern
die Regel sind. Konrektor Bernhard Herold freut sich über die perfekte Akustik im modernen Klassenzimmer der Schule an der Haimhauser Straße. Von der Decke baumeln Mikrofone, mit denen angehende Lehrer den Unterricht aufnehmen können.
haag

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Münchner Merkur vom 15.11.2012

Zur Verfügung gestellt für die Mitglieder des VNN e.V.

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